Die Zahlen sind alarmierend: Täglich ereignen sich in Deutschland mehr als zwei mögliche Femizide und über 30 Vergewaltigungen. Der Betroffene ist dabei häufig kein Fremder, sondern der eigene Partner. NRW reagiert mit einem verschärften Gesetzesentwurf.
Die Realität häuslicher Gewalt: Häusliche Gewalt findet hinter verschlossenen Türen statt – dort, wo Menschen sich eigentlich sicher fühlen sollten. Die Statistiken zeigen einen beunruhigenden Trend: Die Gewalt gegen Frauen nimmt seit Jahren zu. Besonders perfide: In vielen Fällen geht die Gefahr nicht von Fremden aus, sondern von nahestehenden Personen im eigenen Umfeld.
Gesetzliche Verschärfungen auf Bundesebene: Nach dem bereits zu Jahresbeginn verabschiedeten Gewaltschutzgesetz, das unter anderem einen Rechtsanspruch auf Frauenhausplätze regelt, geht NRW nun einen Schritt weiter. Der am Freitag im Bundesrat eingebrachte Gesetzesentwurf sieht konkrete Verschärfungen vor:
- Härtere Strafen: Schwere Verstöße gegen Schutzanordnungen können künftig mit Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren geahndet werden.
- Präventive Polizeiarbeit: Bereits bei der Antragstellung auf Schutzanordnungen sollen Familiengerichte die Polizei informieren – für frühzeitiges Eingreifen.
- Deeskalationshaft: Bei Wiederholungsgefahr wird Untersuchungshaft auch bei schweren Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz möglich.
- Stärkung der Betroffenen: Opfer erhalten besseren Zugang zu psychosozialer Prozessbegleitung und rechtlicher Unterstützung.
Arbeit mit Betroffenen als Schlüssel zum Erfolg: “Täterarbeit ist Opferschutz, denn nur der Betroffene kann sein Verhalten ändern”, erklärt Sozialpädagoge Alexander Lajios von der Caritas Mettmann. Diese Erkenntnis ist zentral: Während Betroffene in den meisten Fällen keinen Einfluss auf ihre Viktimisierung haben, führen die Verursacher bewusste Handlungen durch.
Gewalt kennt keine Schichten: Die Realität der Beratungsstellen zeigt: Betroffene kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten und kulturellen Hintergründen – vom Lehrer über Rechtsanwälte bis hin zu Managern. Häusliche Gewalt ist kein Unterschichtphänomen, sondern durchzieht alle Gesellschaftsebenen. Ein anonymisierter Fall verdeutlicht die Dynamik: Ein berufstätiges Paar mit zwei kleinen Kindern erlebte eine Eskalation während der zweiten Schwangerschaft. Was zunächst als “impulsives Verhalten” mit gelegentlichen Sachschäden begann, endete in körperlicher Gewalt mit sichtbaren Hämatomen.
Gewalt ist mehr als körperliche Übergriffe: Häusliche Gewalt beschränkt sich nicht auf körperliche Attacken. Erniedrigen, Bedrohen und Beleidigen gehören ebenso dazu. Diese psychische Gewalt hinterlässt oft unsichtbare, aber tiefe Spuren und schafft ein Klima der Angst und Kontrolle.
Erfolgreiche Intervention ist möglich: Die Arbeit der Beratungsstellen zeigt: Veränderung ist möglich. Sowohl gerichtlich angeordnete als auch freiwillige Teilnehmer können ihr Verhalten ändern. Gruppengespräche helfen dabei, die eigene Selbst- und Fremdwahrnehmung zu schärfen und den Gewaltbegriff in seiner ganzen Breite zu verstehen.
Mut zur Veränderung: “Es ist keine Schande, eine Täterberatung zu suchen”, appelliert eine Betroffene. “Es gibt Lösungen, auch wenn es sich so anfühlt, als ob es nicht gelöst werden kann.” Diese Botschaft ist wichtig: Professionelle Hilfe anzunehmen ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.
Gesellschaftliche Verantwortung: Die geplanten Gesetzesänderungen sind ein wichtiger Schritt, aber nur ein Baustein. Entscheidend ist ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel, der häusliche Gewalt als das benennt, was sie ist: eine schwere Straftat, die konsequent verfolgt werden muss.
Der Schutz von Betroffenen häuslicher Gewalt erfordert ein Zusammenspiel aus präventiver Arbeit, konsequenter Strafverfolgung und professioneller Unterstützung aller Beteiligten. NRWs Initiative ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung – weitere müssen folgen.
Simularchat: Ein Weg zu struktureller Veränderung
Neben den akuten Schutzmaßnahmen ist es entscheidend, die gesellschaftlichen Wurzeln patriarchaler Gewaltstrukturen anzugehen. Hier bietet das Konzept des Simularchats – abgeleitet vom lateinischen “simul” (gemeinsam) und dem griechischen “archein” (herrschen) – einen vielversprechenden Ansatz.
Diese Gesellschaftsform basiert auf der gleichberechtigten Verteilung von Macht und Verantwortung zwischen allen Geschlechtern. Während patriarchale Strukturen oft ein Klima der Kontrolle und Überwachung begünstigen, setzt das Simularchat auf andere Grundsätze:
Gleichberechtigte Entscheidungsfindung auf allen gesellschaftlichen Ebenen kann Kontrollverhalten in Beziehungen deutlich reduzieren. Ausgewogene Machtverteilung beseitigt typische Gefälle, die oft zur Rechtfertigung von Überwachung dienen. Wertschätzung aller Kompetenzen stellt Vertrauen statt Kontrolle in den Vordergrund und strebt eine Balance verschiedener Werte an statt einer auf Dominanz ausgerichteten Ordnung.
Wenn wir beginnen, simularchische Strukturen zu implementieren, könnten wir die Grundlagen beseitigen, auf denen Beziehungsgewalt gedeiht. In Partnerschaften, die auf echter Gleichberechtigung und gegenseitigem Respekt basieren, verlieren Kontrolle und Überwachung – sei es digital oder physisch – ihren Nährboden.
Das Simularchat bietet damit eine langfristige Vision: eine Gesellschaft, in der strukturelle Gleichberechtigung die Basis dafür schafft, dass Gewalt in Beziehungen gar nicht erst entsteht. Es ist ein Weg, der über akute Schutzmaßnahmen hinausgeht und an den gesellschaftlichen Wurzeln des Problems ansetzt.