Das Problem hat System
An deutschen Familiengerichten geschieht Unrecht – systematisch und massenhaft. Mütter, die ihre Kinder vor gewalttätigen Vätern schützen wollen, verlieren stattdessen das Sorgerecht. Betroffene, die sich in Frauenhäuser flüchten, werden wegen “elterlicher Entfremdung” sanktioniert. Kinder werden gegen ihren Willen zu Betroffenen zurückgeführt, die sie misshandelt haben.
Was nach Einzelfällen klingt, ist ein strukturelles Problem. Das Deutsche Institut für Menschenrechte warnt in seinem aktuellen Bericht zur Istanbul-Konvention: Gewalt gegen Frauen wird in Deutschland systematisch bagatellisiert – besonders vor Familiengerichten.
Die Waffe “Eltern-Kind-Entfremdung”
Im Zentrum steht ein pseudowissenschaftliches Konzept: das “Parental Alienation Syndrome” (PAS), auf Deutsch “Eltern-Kind-Entfremdung”. Entwickelt vom US-Psychologen Richard Gardner in den 1980er Jahren, behauptet diese Theorie, dass Kinder durch “Gehirnwäsche” eines Elternteils – meist der Mutter – gegen den anderen aufgehetzt werden.
Obwohl wissenschaftlich widerlegt und vom Bundesverfassungsgericht 2023 als “nicht tragfähige Grundlage” verworfen, prägt dieses Konzept weiterhin die deutsche Rechtspraxis. Die UN-Sonderberichterstatterin Reem Alsalem bezeichnet es als “Pseudokonzept”, das weltweit als Taktik gegen Mütter eingesetzt wird.
Die Realität in Zahlen
Eine Umfrage von Terre des Femmes unter 900 betroffenen Frauen zeigt das Ausmaß:
- 75% der Befragten wurden von Ex-Partnern mit Gerichtsverfahren bedroht
- 89% erlebten Diskriminierung in Sorgerechtsverfahren
- Bei vorheriger häuslicher Gewalt setzt sich diese nach der Trennung fort – oft über das Rechtssystem
Der Soziologe Wolfgang Hammer spricht von einer “systematischen Täter-Opfer-Umkehr” und “im Verborgenen gewachsenem Unrecht im System”.
Wie das System versagt
1. Fehlende Qualifikation
Richterinnen sind Expertinnen für Jura, nicht für Psychologie. Fortbildungen zu häuslicher Gewalt und Traumata sind nicht verpflichtend. Stattdessen referieren bei Richterfortbildungen teils Personen mit Verbindungen zur Väterrechtsbewegung.
2. Fragwürdige Gutachten
Gerichte beauftragen Sachverständige ohne ausreichende Qualifikation. Diese geben weitreichende Empfehlungen ab, die dazu führen können, dass Kinder bei gewalttätigen Elternteilen leben müssen.
3. Aggressive Lobbyarbeit
Väterrechtsverbände wie der “Väteraufbruch für Kinder” (VAfK) betreiben systematische Einflussnahme. Sie attackieren kritische Richter*innen mit Beschwerdekampagnen und verbreiten das Narrativ der “entsorgten Väter”.
4. Begriffliche Verschleierung
Auch wenn “PAS” offiziell nicht mehr verwendet wird, leben die Konzepte unter neuen Namen weiter: “Bindungsintoleranz”, “Mutter-Kind-Symbiose” oder “trennungsinduzierter Kontaktabbruch” – mit denselben fatalen Folgen.
Die Konsequenzen für Betroffene
Kinder werden traumatisiert, wenn sie zu Betroffenen zurückgeführt werden. Mütter verlieren nicht nur ihre Kinder, sondern oft auch ihr Vertrauen in den Rechtsstaat. Eine Berliner Rechtsanwältin berichtet von Mandantinnen, die “keiner mehr hören möchte”.
Der Kinder- und Jugendpsychiater Jörg Fegert warnt: Wenn das PAS-Konstrukt ins Spiel komme, werde es “für tatsächlich betroffene Kinder richtig gefährlich”. Eine Abwägung zwischen Umgangsrecht und Schutz vor Missbrauch sei “völlig irre”.
Was sich ändern muss
- Verpflichtende Fortbildungen: Richterinnen, Jugendämter und Gutachterinnen müssen zu häuslicher Gewalt und Traumafolgen geschult werden.
- Qualitätsstandards für Gutachten: Nur qualifizierte Fachkräfte sollten familiengerichtliche Gutachten erstellen dürfen.
- Umkehr der Beweislast: Bei nachgewiesener Gewalt muss das Gericht die Kindeswohldienlichkeit des Umgangs positiv feststellen – nicht umgekehrt.
- Kritische Prüfung: Konzepte wie “Eltern-Kind-Entfremdung” und ihre Ableger müssen aus der Rechtspraxis verschwinden.
- Schutz vor institutioneller Gewalt: Mütter dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie ihre Kinder schützen wollen.
Ausblick
Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Doch die Realität an Familiengerichten zeigt: Wir sind weit davon entfernt. Während Aktivistinnen, Wissenschaftlerinnen und Betroffene Alarm schlagen, verhallen ihre Rufe oft ungehört.
Mit dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag hat die Väterrechtsbewegung in der AfD eine neue parlamentarische Fürsprecherin gefunden. Die Partei bezeichnet Entfremdung als “Grausamkeit” und warnt vor “unbewiesenen Behauptungen” – ein gefährliches Signal für alle, die auf Reformen hoffen.
Es braucht einen Paradigmenwechsel: weg von der Täter-Opfer-Umkehr, hin zu einem Familienrecht, das Kinder und ihre schützenden Elternteile ernst nimmt. Denn wenn der Schutz zur Gefahr wird, versagt nicht nur die Justiz – es versagt der Rechtsstaat.
Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel “Wie Gewalt an Frauen und Kindern bagatellisiert wird” von Matthias Meisner, erschienen im KATAPULT-Magazin.