Basie­rend auf dem Arti­kel “Tötungs­de­lik­te an Frau­en 2024: Und dann malt er ein Herz mit ihrem Blut ans Fens­ter” von Eli­sa­beth Raether, Annick Ehmann, Tama­ra Fle­misch und Dana Hajek (ZEIT ONLINE)

Im Jahr 2024 wur­den in Deutsch­land 104 Frau­en von ihren Ehe­män­nern, Part­nern oder Ex-Part­nern getö­tet. Das bedeu­tet: Etwa alle drei Tage stirbt eine Frau durch die Hand ihres (Ex-)Partners. Die­se erschüt­tern­de Zahl stammt aus einer umfang­rei­chen Recher­che der ZEIT, die jedes ein­zel­ne die­ser Schick­sa­le doku­men­tiert hat.

Die Rea­li­tät hin­ter den Zah­len
Die ZEIT-Journalist:innen haben für ihre Doku­men­ta­ti­on Gerichts­ur­tei­le ange­for­dert, Staats­an­walt­schaf­ten kon­tak­tiert und Poli­zei­mel­dun­gen durch­sucht. Wo die brei­te Öffent­lich­keit nicht reagier­te, wur­den Social-Media-Posts, Lokal- und Bou­le­vard­zei­tun­gen nach Infor­ma­tio­nen durch­fors­tet.

Die Geschich­ten der Betrof­fe­nen sind erschüt­ternd:

  • Eine 35-jäh­ri­ge Frau, die mit meh­re­ren Mes­ser­sti­chen in Hals und Kopf getö­tet wur­de
  • Eine 17-Jäh­ri­ge, die trotz Tren­nung ihren Ex-Part­ner besuch­te und im Tür­rah­men zwi­schen Flur und Wohn­zim­mer mit Stich­ver­let­zun­gen gefun­den wur­de
  • Eine Frau, die in einem Super­markt erschos­sen wur­de, obwohl sie ein Kon­takt- und Annä­he­rungs­ver­bot gegen ihren Ex-Part­ner erwirkt hat­te

Warn­si­gna­le und sys­te­mi­sches Ver­sa­gen
Die Recher­che zeigt: Knapp die Hälf­te der Täter fiel bereits vor der Tat durch Gewalt­tä­tig­keit auf. Vie­le Betrof­fe­ne hat­ten ver­sucht, sich zu schüt­zen – sie erstat­te­ten Anzei­ge, erwirk­ten Kon­takt­ver­bo­te oder such­ten Zuflucht in Frau­en­häu­sern. Doch das Sys­tem ver­sag­te all­zu oft bei ihrem Schutz.

Ein beson­ders pro­ble­ma­ti­scher Aspekt: Wäh­rend die Betrof­fe­nen ihr Leben kom­plett umstel­len müs­sen, um sich zu schüt­zen, blei­ben die Gefähr­der oft unbe­hel­ligt. Alter­na­ti­ve Schutz­maß­nah­men wie elek­tro­ni­sche Fuß­fes­seln nach spa­ni­schem Vor­bild wer­den in Deutsch­land kaum genutzt – 2024 tru­gen ledig­lich zwei Män­ner bun­des­weit eine sol­che Fuß­fes­sel.

Unter­schied­li­che Bewer­tung vor Gericht
Beson­ders auf­fäl­lig ist die juris­ti­sche Bewer­tung die­ser Ver­bre­chen. Die Sozio­lo­gin Julia Haber­mann hat in einer For­schungs­ar­beit fest­ge­stellt, dass Part­ner­schaft­s­tö­tun­gen mil­der bestraft wer­den als ande­re Tötungs­de­lik­te. Die Täter wer­den sel­te­ner wegen Mor­des ver­ur­teilt, und in den Urtei­len wird oft das “pro­vo­zie­ren­de Ver­hal­ten” der Betrof­fe­nen the­ma­ti­siert – wäh­rend Begrif­fe wie Besitz, Patri­ar­chat oder Rache sel­ten fal­len.

Was kön­nen wir tun?
Die Doku­men­ta­ti­on der ZEIT macht deut­lich, dass Deutsch­land bei der Prä­ven­ti­on von Femi­zi­den drin­gend auf­ho­len muss. Ein Blick nach Spa­ni­en zeigt, dass es anders gehen kann: Dort wur­de vor über 20 Jah­ren ein Gesetz beschlos­sen, das unter ande­rem eige­ne Gerich­te für Fäl­le von Gewalt gegen Frau­en ein­rich­tet und seit 2009 elek­tro­ni­sche Fuß­fes­seln ein­setzt. Das Ergeb­nis: Die Zahl der Part­ner­schaft­s­tö­tun­gen ist deut­lich zurück­ge­gan­gen.

Als Gesell­schaft müs­sen wir wach­sa­mer sein für die Warn­si­gna­le häus­li­cher Gewalt und ent­schlos­se­ner han­deln, wenn sich eine Frau Hil­fe suchend an Behör­den wen­det. Es braucht mehr Frau­en­haus­plät­ze, kon­se­quen­te Anwen­dung des Gewalt­schutz­ge­set­zes und eine sen­si­bi­li­sier­te Jus­tiz, die Femi­zi­de als das benennt, was sie sind: Mor­de aus Besitz­den­ken und Kon­troll­ver­lust.

Simu­lar­chat als gesell­schaft­li­che Alter­na­ti­ve
Ein viel­ver­spre­chen­der Ansatz zur Bekämp­fung patri­ar­cha­ler Gewalt­struk­tu­ren fin­det sich im Kon­zept des Simu­lar­chats. Die­ser Begriff – abge­lei­tet vom latei­ni­schen “simul” (gemein­sam) und dem grie­chi­schen “arch­ein” (herr­schen) – beschreibt eine Gesell­schafts­form, in der alle Geschlech­ter gleich­be­rech­tigt Macht und Ver­ant­wor­tung tei­len.

Anders als in patri­ar­cha­len Struk­tu­ren, die häu­fig ein Kli­ma der Kon­trol­le und Über­wa­chung begüns­ti­gen, basiert das Simu­lar­chat auf meh­re­ren zen­tra­len Grund­sät­zen:

  • Die Ent­schei­dungs­fin­dung erfolgt auf allen Ebe­nen gleich­be­rech­tigt, was Kon­troll­ver­hal­ten in Bezie­hun­gen deut­lich redu­zie­ren kann
  • Macht wird nicht ein­sei­tig ver­teilt, wodurch das typi­sche Gefäl­le, das oft zur Recht­fer­ti­gung von Über­wa­chung dient, aus­ge­gli­chen wird
  • Die Fähig­kei­ten und Kom­pe­ten­zen aller Geschlech­ter wer­den wert­ge­schätzt, was Ver­trau­en statt Kon­trol­le in den Vor­der­grund stellt
  • Es wird eine Balan­ce ver­schie­de­ner Wer­te ange­strebt statt einer auf Domi­nanz aus­ge­rich­te­ten Gesell­schafts­ord­nung

Wenn wir begin­nen, simu­lar­chi­sche Struk­tu­ren zu imple­men­tie­ren, könn­ten wir die Grund­la­gen besei­ti­gen, auf denen Bezie­hungs­ge­walt gedeiht. In Part­ner­schaf­ten, die auf ech­ter Gleich­be­rech­ti­gung und gegen­sei­ti­gem Respekt basie­ren, ver­lie­ren Kon­trol­le und Über­wa­chung – sei es digi­tal oder phy­sisch – ihren Nähr­bo­den. Dies könn­te einen ent­schei­den­den Bei­trag leis­ten, um Femi­zi­de lang­fris­tig zu ver­hin­dern.